Unter welchen Umständen dürfen Arbeitgeber Videoaufnahmen von Mitarbeitenden als Beweismittel vor Gericht einbringen, etwa bei einer Kündigungsschutzklage? Zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erweitern die Möglichkeiten und unsere Anleitung zeigt, worauf Arbeitgeber besonders achten sollten.
BAG-Urteile zur Beweisverwertung von Videoaufnahmen Beschäftigter
Speicherung zulässig, solange Pflichtverletzung geahndet werden kann
Bereits das Urteil des BAG aus dem Jahr 2018 erweiterte die zeitlichen Grenzen, in denen Videoaufnahmen von Mitarbeitern vor Gericht als Beweis verwertet werden können (Urteil vom 23. August 2018, Az.: 2 AZR 133/18).
Eine Arbeitnehmerin in einer videoüberwachten Lottoannahmestelle wurde nach Feststellung eines Warenschwunds fristlos gekündigt, basierend auf fast sechs Monate alten Videoaufzeichnungen, die vermögensschädigende Handlungen zeigten.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm entschied, dass die Speicherung und Auswertung der Aufnahmen unrechtmäßig waren, da sie nach Erreichen des Überwachungszwecks hätten gelöscht werden müssen und diese deswegen einem Beweisverwertungsverbot unterlägen.
Das BAG hob dieses Urteil auf und stellte fest, dass die Speicherung zulässig sei, solange die Pflichtverletzung noch geahndet werden kann und die Überwachung rechtmäßig im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) war.
Beweisverwertung auch möglich, wenn Videoüberwachung nicht datenschutzkonform
Im Urteil vom 29. Juni 2023 (Az: 2 AZR 296/22) erweiterte das BAG erneut die Grenzen, in denen Videoaufnahmen von Mitarbeitern vor Gericht als Beweis verwerten werden können. Die Richter stellten klar, dass Videoaufnahmen auch dann als Beweis in einem Kündigungsschutzprozess verwendet werden können, wenn Datenschutzverstöße vorliegen.
Konkret ging es um einen Arbeitnehmer, der des Arbeitszeitbetrugs verdächtigt wurde. Der Arbeitgeber hatte Videoaufnahmen von einer Kamera ausgewertet, die das Drehkreuz am Eingang des Werksgeländes überwachte. Diese Aufzeichnungen zeigten, dass der Arbeitnehmer das Gelände bereits vor der angeblich geleisteten Mehrarbeitsschicht wieder verlassen hatte. Der Arbeitnehmer bestritt die Vorwürfe und machte geltend, dass die Videoaufzeichnungen einem Verwertungsverbot unterlägen, da sie nicht datenschutzkonform erhoben und gespeichert wurden.
Das LAG Niedersachsen gab dem Arbeitnehmer zunächst Recht und erklärte die Kündigung für unwirksam. Doch das BAG sah dies anders und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung zurück.
Das BAG stellte fest, dass mögliche Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorgaben nicht zwangsläufig zu einem Verwertungsverbot führen. Entscheidend sei, dass die Videoüberwachung offen erfolgt sei und der Arbeitgeber die Aufzeichnungen zur Aufdeckung eines vorsätzlich vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers verwende. In diesem Fall überwiege das Interesse des Arbeitgebers an der Verwertung der Aufnahmen gegenüber den datenschutzrechtlichen Bedenken des Arbeitnehmers.
Insbesondere hob das Gericht hervor, dass die Videoaufzeichnungen trotz einer längeren Speicherfrist als ursprünglich vorgesehen, für den Kündigungsschutzprozess verwendet werden dürfen. Datenschutzrechtliche Mängel, wie eine zu lange Aufbewahrungsdauer, seien im konkreten Fall unerheblich, solange die Datenerhebung offen erfolgte und ein schwerwiegender Missbrauch nicht vorliege.
Gerichte sind nun gehalten, auch dann auf solche Beweismittel zurückzugreifen, wenn datenschutzrechtliche Verstöße im Raum stehen – vorausgesetzt, dass die Aufnahmen offen erstellt wurden und der Arbeitnehmer vorsätzlich gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen hat. Lediglich in Fällen, in denen eine schwerwiegende Verletzung der Grundrechte des Arbeitnehmers vorliegt, könnte ein Beweisverwertungsverbot auch bei arbeitsrechtlichen Verfehlungen des Betroffenen in Betracht kommen.
So wahren Sie die Rechtmäßigkeit bei der offenen Videoüberwachung
Trotz der oben diskutierten Urteile des BAGs sollten Arbeitgeber die Videoüberwachung von Mitarbeitenden datenschutzrechtlich sauber gestalten, um Videobeweise vor Gericht verwerten zu dürfen.
Hinweis: Das Bundesdatenschutzgesetz regelt in § 4 BDSG den Einsatz von Videoüberwachung und beschränkt diese auf die Wahrnehmung des Hausrechtes und berechtigte Interessen für konkret festgelegte Zwecke.
Mangels Öffnungsklausel in der DSGVO ist die deutsche Sondervorschrift des § 4 BDSG laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 27. März 2019 europarechtswidrig. Private Einrichtungen oder Unternehmen dürfen Videoüberwachungsmaßnahmen nur auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 DSGVO durchführen.
Damit offene Videoaufnahmen keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen, ist die offene Videoüberwachung insbesondere mit folgenden Maßnahmen rechtmäßig zu gestalten:
Erforderlichkeit
Die Überwachung muss nach Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO erforderlich sein für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses. Hier könnte man argumentieren, dass z. B. die Videoüberwachung eines Geldtransportfahrers erforderlich und gerechtfertigt ist, um einerseits die Mitarbeitenden vor Dritten zu schützen, aber auch, um den Arbeitgeber vor Vermögensdelikten durch Kunden sowie die Mitarbeitenden zu bewahren. Ein Beispiel, in dem hingegen definitiv keine Erforderlichkeit zur Videoüberwachung besteht, wäre ein Mitarbeiter in einer Produktionslinie, der Maschinenteile niederen Wertes zusammensetzt.
Interessensabwägung
Gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO ist eine Interessenabwägung erforderlich, die feststellt, ob die berechtigten Interessen des Arbeitgebers an der Überwachung die Interessen, Rechte und Grundfreiheiten der Beschäftigten überwiegen. Dabei sollte bedacht werden, welche Auswirkungen die offene Überwachung für Arbeitnehmer haben kann. Überwachungsdruck und konstante Auswertung von Mimik sowie Verhalten sind Einschnitte, die vor der Installation bedacht und abgewogen werden sollten.
Verhältnismäßigkeit
Die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme gebietet, dass die Videoüberwachung immer nur als letztes Mittel eingesetzt werden sollte, wenn es keine anderen Maßnahmen gibt, die weniger in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen einschneiden. Technische Maßnahmen wie das Ausgrauen einzelner Bereiche des Erfassungswinkels einer Kamera können den Überwachungscharakter entschärfen.
Information der Betroffenen
Mitarbeitende sollten über die offene Videoüberwachung umfangreich informiert werden. Dazu zählt z. B., ihnen den Filmwinkel der Kamera vorzuführen und sie über Speicherfristen und Zugriffsberechtigte aufzuklären. Die unmittelbaren Voraussetzungen der Informationspflichten finden sich in Art. 13 DSGVO (nutzen Sie dafür einfach unseren kostenlosen Generator für ein Mitarbeiter-DSGVO-Informationsschreiben).
Anhaltspunkte für Straftat
Wenn dem Arbeitnehmer eine Straftat nachgewiesen werden soll, muss die Überwachung gem. § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG zur Aufdeckung erforderlich sein. Es müssen also tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Ein „bloßer Verdacht“ auf Grund von vagen Hinweisen oder bloßen Gerüchten reicht dazu regelmäßig nicht aus. Eine präventive Überwachung ist nicht möglich, sondern kann nur eigens dafür errichtet werden, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG erfüllt sind.
Kurze Speicherfristen
Art. 5 Abs. 1 lit. e DSGVO gebietet die Löschung von personenbezogenen Daten, was Videoaufnahmen von identifizierbaren Mitarbeitenden einschließt, nachdem der Zweck für die Verarbeitung nicht mehr besteht. Demnach sollten Speicherfristen so kurz wie möglich und lang wie nötig gehalten werden.
Tipp: Lesen Sie unsere Anleitung zur DSGVO-konformen Videoüberwachung von Mitarbeitenden.
Hinweise zur Frist der Beweisverwertung
Bisher wurde davon ausgegangen, dass Videoaufnahmen von z. B. Ladenflächen und Büroeingängen zur Wahrung des Hausrechts wenige Tage nach Aufnahme gelöscht werden müssen, um dem Datenschutz zu genügen. Da Art. 5 Abs. 1 lit. e DSGVO (Begrenzung der Speicherdauer) auf die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung Einfluss nimmt, müssen gute Gründe für eine Monate andauernde Speicherung von Aufnahmen existieren.
Das BAG hat die Rechtslage nun konkretisiert und erlaubt die Speicherung, solange eine Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist. Art. 5 Abs. 1 lit. e DSGVO schließt allerdings aus,
- dass z. B. Aufnahmen zum alleinigen Zweck der Wahrung des Hausrechts angefertigt werden,
- man über die Zweckbegrenzung hinaus Aufzeichnungen speichert und
- sich erst im Nachhinein auf den (anderen) Zweck der Mitarbeiterüberwachung beruft, wenn ein Verdacht aufkommt.
Die Begründung liegt darin, dass die Aufnahmen zur Wahrung des Hausrechtes grundsätzlich wesentlich kürzeren Speicherfristen unterliegen als eine Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist. Zudem ist eine Zweckänderung nur selten und unter strengen Voraussetzungen möglich.
Fazit: Datenschutzkonformität der Videoüberwachung bleibt vorrangig
Das Bundesarbeitsgericht eröffnet mit seinem Urteilen aus den Jahren 2018 und 2023 zwar Wege, Videoaufnahmen länger vor Gericht verwerten zu dürfen. Die Richtersprüche sind aber noch lange kein Freischein zur Vorratsspeicherung und unberechtigten Videoüberwachung von Arbeitnehmern.
Videoüberwachung muss weiterhin den strengen Anforderungen der DSGVO genügen. Damit der Videobeweis vor Gericht verwendet werden kann, muss die Videoüberwachung zulässig und damit datenschutzrechtskonform gestaltet sein. Dass das ohne gute Planung und Koordination kaum umsetzbar ist, beweisen die aufgeführten zu treffenden Maßnahmen dieses Artikels.